Die geistige Reform Echnatons und die neue Hauptstadt Amarena
So verschieden wie Amenophis IV., der sich selbst Echnaton nannte, wird kein
anderes Bild eines ägyptischen Herrschers in der Geschichte dargestellt.
Von denen einen wird er als geistig nicht normal bezeichnet. Für die anderen
ist er die bedeutendste Persönlichkeit der 18. Dynastie. Wie immer in der
Geschichtsbetrachtung ist auch hier der Standpunkt des Betrachters
entscheidend. Vom politischen Standpunkt aus betrachtet war der
Philosoph auf dem Thron für Ägyptens Entwicklung verhängnisvoll. In der
Hinsicht auf die äußerst konservativen und hierarchisch geordneten
Verhältnisse in Ägypten waren das Ketzertum Echnatons und sein Bruch mit
der Vergangenheit kühn und für die Entwicklung des selbständigen Denkens
entscheidend. Der körperlich behinderte Echnaton war selbstbewusst und
ehrgeizig. Er versuchte die athletische Gestalt seiner Vorgänger auf
geistigem Gebiet wett zu machen. Dass er als Herrscher politisch in der
damaligen Lage Unheil für Ägypten bedeutete, ändert nichts an seiner
menschlichen Größe.
Ausgrabungen in Tell al Amarna geben uns eine Vorstellung von der Stadt des
großen Häretikers. Echnaton verließ die bisherige Hauptstadt Theben als
er seine religiöse Revolution in Angriff nahm. Theben war zu dieser zeit
zugleich Zentrum des Amun-Kultes und Sitz der immer einflussreicheren
Priesterschaft. Seine Reform stellte alles in Frage, worauf der seit
Jahrhunderten streng dogmatische und nationale Glaube der Ägypter
gründete. An die Stelle von menschen- und tiergestaltigen Gottheiten, der
Vergötterung von Stammeshäuptlingen und Tiertotems setzte er einen
einzigen Gott. Dieser offenbarte sich im Licht der Sonne. Das Volk, welches
über Jahrtausende hinweg an alten Bräuchen festgehalten hatte, verstand
ihn nicht. Die Umwälzungen bisheriger Vorstellungen und Kulthandlungen
war zu erschütternd für das Volk. Auch politische Neuerungen, die darauf
ausgelegt waren sich der Bevormundung durch die Priesterschaft zu
entziehen stießen auf extremen Widerstand. Echnaton, der große Denker war
von seltsamer Gestalt. Er hatte kurze Beine, einen dicken Leib, breite
Hüften und ein schmales Gesicht mit einem langen Kinn. So unterschied sich
seine Gestalt grundlegend von denen seiner Vorgänger, welche die Feinde
mit ihren Streitwagen niederfuhren oder Elefanten am Euphrat jagten. So
hatte Amenophis II. von einem fahrenden Wagen aus vier handdicke kupferne
Scheiben mit seinem Pfeil durchschossen und war vier Kilometer allein den
Nil stromaufwärts gerudert. Und das nachdem seine Ruderer schon nach einem
halben Kilometer ermüdet waren und ihn um Gnade anflehten. Andere Prinzen
zähmten widerspenstige Pferde und waren auf dem Schlachtfeld
unübertroffen.
Echnaton stürzte ebenfalls die überlieferten Normen der ägyptischen
Kunst. Er ließ sich von den Künstlern so wiedergeben, wie er war. Die
Darstellungen sind ungewöhnlich, aber nicht wirklich hässlich. Aus dem
verträumten, melancholischen Gesicht spricht das idealistische
Verlangen, die Welt nach seinen Ideen und idealistischen Vorstellungen zu
verändern. Die geheimnisvollen Tempel Thebens, oft düster wie Höhlen,
entsprachen nicht dem Kult des neuen Gottes. Dieser sollte sich im Licht der
Sonne darstellen. Der Monarch verlegte deshalb seine Hauptstadt an einen
Ort, der seinen Vorstellungen mehr entsprach. Er wählte einen kleinen
Taleinschnitt auf halbem Weg zwischen Memphis und Theben. In dieser
fruchtbaren Ebene, die reich an Bäumen und Blumen war entstand Amarna. Es
wurde von König Achetaton "Lichterort des Aton" genannt.
Nur wenige seiner Zeitgenossen konnten den revolutionären Gedanken des
Herrschers folgen. Man suchte in seiner Reform etwas Unägyptisches und
suchte ihren Grund im syrischen Erbe. Im Verlauf des 2. Jahrtausends ist in
allen Hochkulturen eine religiöse Entwicklung erkennbar, Götter zu
ethischen Mächten zu erhöhen und in ihnen verschiedene Aspekte eines
einzigen Gottes zu sehen. Echnaton war der erste, der diesen Schritt zu
einem monotheistischen Konzept versuchte. Der Gedanke des
Sonnenglaubens war zwar in der ägyptischen Tradition schon verwurzelt,
hatte jedoch noch nie zuvor eine so konsequente Verwirklichung
gefunden.
Echnatons Religion richtete sich nicht nur auf das jenseitige Leben aus,
sondern auch auf die Gegenwart und die Realität. Er glaubte, dass die Liebe
und die Güte die Menschen besser machen würde und weigerte sich Kriege zu
führen. Das Ergebnis von seinen wohlmeinenden Absichten war für Ägypten
verhängnisvoll. Hätte sein Tod seiner Reformtätigkeit nicht ein jähes
Ende gesetzt hätte sich Ägypten von diesem Experiment wohl nicht mehr
erholt. Die Beamten waren sich darüber im Klaren. Zwar war die Macht der
Amun-Priester eine Zeitlang im Schwinden, aber die kurze Regierungszeit
des Königs reichte nicht aus, ihre Autorität völlig zu vernichten.
Echnaton träumte von einer weit angelegten Stadt in Amarna, die das neue Herz
des Reiches werden sollte. Trotz langwieriger Ausgrabungen konnten doch
nicht alle Bauwerke freigelegt werden. Aus Luftaufnahmen kann man jedoch
die Größe und die Ausdehnung erahnen. Die Vernichtung folgte so schnell auf
die Erbauung, dass manche Häuser noch nicht vollendet waren. Alle Gebäude
lassen die Eile erkennen, mit welcher sie erbaut wurden. Echnaton wusste,
dass die Zeit sein größter Gegner war. Er strebte deshalb mit einer enormen
Ungeduld die Verwirklichung seines Zieles an. Um eine schnelle Bauzeit zu
erreichen verzichtete er auf behauene Steinblöcke und ließ Ziegel
verwenden. Eine besondere Bemalung ließ diese stellenweise wie Steine
aussehen. Anstelle von Vergoldungen wurden einzelne Details einfach gelb
angestrichen. Nur die Paläste und die offiziellen Bauten glänzten in der
Pracht, welche dem Aton-Kult entsprach.
Echnaton verlangte von den Bildhauern einen strengen Realismus. Dieser
stand im Gegensatz zu dem bisherigen Stil, nach welchem der König als
göttliches Wesen dargestellt wurde. Er wollte nicht als unpersönlicher,
stolzer, unnahbarer Herrscher verewigt werden, sondern als zärtlicher
Familienvater, der seine Frau, Nofretete umarmte. Auch sind Szenen
dargestellt in denen er mit seinen Kindern, sechs Prinzessinnen, spielt
und liebkost. Fuhr er im Wagen spazieren wurde er von seiner ganzen Familie
begleitet. Möglicherweise wäre ein anderes Volk von diesen Darstellungen
gerührt gewesen, die Ägypter empfanden dies jedoch als stillos. In Amarnas
Ruinen fand man Wagen mit Affen aus Terrakotta in der gleichen Haltung, in
der die Künstler die Familie des Pharao dargestellt hatten. Der Gott-König
als Thema einer Karikatur zeigt die Empörung über die offensichtliche
Entgleisung Echnatons.
Auch die Natur und die Tiere sollten so wieder gegeben werden, wie sie sind.
Die ursprüngliche Schönheit sollte durch nichts verschleiert werden. Die
Welt der Tiere und der Pflanzen wurde zum bevorzugten Thema der Künstler.
Diese Art der Darstellung verlangte eine neue Art zu sehen. Eine Rückkehr
zur Unbefangenheit der Empfindung und zur Ursprünglichkeit des
Eindrucks. Die Malerei Amarnas gehört zu den unmittelbarsten Äußerungen
in der ägyptischen Kunst. Besonders ansprechend ist die Unbeschwertheit
dieser Bilder die ohne symbolische Bedeutung und religiösen Dogmatismus
entstanden.
Die Stadt war in ihrer Anlage neu. Auch darin brach Echnaton mit früheren
Überlieferungen. Die Privathäuser waren der Sonne viel zugänglicher.
Auch in die Hallen und Höfe der Tempel konnten die Sonnenstrahlen
ungehindert einströmen. So schritt man in vollem Licht bis zum Altar,
während man sich früher in der Dunkelheit im Heiligtum vortasten
musste.
Sofort nach Echnatons Tod kamen die Priester Amuns wieder an die Macht. Der
Reformator wurde zum Ketzer erklärt. Amarna wurde verlassen und auch
später nie wieder besiedelt. Die Nachfolger unternahmen alle
Anstrengungen die Erinnerung an Echnaton zu tilgen. Trotzdem ist er uns von
allen Königen Ägyptens am besten bekannt. In der Stadt können die Spuren der
Bewohner noch gut erkannt werden. Das Viertel der Reichen und das der Armen
vermitteln eine Vorstellung von der Pracht der Paläste und der
Bescheidenheit der kleinen Behausungen des Mittelstandes. Es wurden
Magazine und Lagerhäuser, Polizeistationen und Kasernen, Gärten und
Teiche entdeckt. Man kann sogar Wohnungen der Fremden (Syrer und Kreter)
von denen der Einheimischen unterscheiden. Im Haus des Bildhauers
Thutmose fand man Tonmasken, welche das Bemühen zeigen mit der Darstellung
möglichst nah am Vorbild zu bleiben. Diese Abdrücke waren für den Bildhauer
allerdings nur Rohmaterial für seine künstlerische Gestaltung. 1936
wurden Entwürfe für ein Bildnis der Königin Nofretete von ergreifender
Ehrlichkeit entdeckt. Auf diesen Skizzen ist von ihrer Schönheit, wie sie
die berühmte Büste im Berliner Museum zeigt, nichts mehr zu sehen. Sie wird
alt, verbraucht und mit einem schmalen, knochigen und langen Gesicht
gezeigt. Es ist nur ein schwacher Abglanz ihres früheren Charmes. Selbst
der Künstler der bekannten, bemalten Porträtbüste schreckt nicht davor
zurück, neben ihrer Anmut auch das entstellende weiße Auge zu verewigen.
Vermutlich rührt es von einer Augenkrankheit her. Noch sind viele Fragen,
die Amarna aufgibt ungelöst, vor allem die Beziehungen zu Kreta und dessen
Kunst. Außer dem vom König selbst verfassten "Aton-Hymnus" weiß man nicht
viel über den Kult des Sonnengottes. Die wichtigsten geschichtlichen
Dokumente sind die etwa 300 "Amarna-Briefe" auf Tontafeln. Sie geben
Aufschluss über die schwierige, fast verzweifelte, Lage in Vorderasien.
Auch eine Inschrift, der zufolge Echnaton die Herrschaft mindestens neun
Jahre lang mit seinem Vater Amenophis III. teilte, könnte von großer
Bedeutung sein, da sie die Chronologie der Königsfolge verändern
würde.
Tutanchamun, der Nachfolger Echnatons, gelangte nur deshalb zu
Berühmtheit, weil er jung verstarb und sein Grab als einziges der
Königsgräber in Theben nicht geplündert worden war. Die Entdeckung 1922
war eine große Sensation, denn erst diese ungeheuren Schätze der
Grabausstattung vermittelten erstmals ein Bild vom Luxus der
Herrscherhäuser, von der hohen Entwicklungsstufe aller
Handwerksgebiete und des künstlerischen Arbeitens. Bezeichnend dafür
waren die berühmte goldene Maske, eine bemalte Truhe und ein Thron mit
Darstellungen des jungen Königs.