Die Pharaonen des Nordens (1306 – 1070 v. Chr.) – Die Ramessiden-Zeit
Die Amarna-Zeit wurde durch Haremheb (1314 – 1306), einen Armeegeneral
beendet. Er regierte für die Dauer von 28 Jahren in Memphis und stellte die
innere Ordnung wieder her. Der Begründer der Ramessiden-Dynastie, Ramses
I., stieg ebenfalls aus dem Stand der Soldaten ohne erbliche Legitimation
empor. Er stammte wahrscheinlich aus einer Familie der einstigen
Hyksos-Stadt Auaris im Nordwestdelta. Sie ging später als Tanis oder
Ramses-Stadt als neue Residenz des Reiches hervor. Dadurch verlagerte
sich der Schwerpunkt der Macht endgültig in den Norden des Reiches.
Tatkräftigen Königen wie Sethos I, Ramses II (1290 – 1224) und Merenptha
gelang es die verlorne Machtstellung in Palästina und Syrien wieder zu
festigen. Nach wechselvollen Kämpfen mit den Hethitern, vor allem der
berühmten Schlacht bei Kadesch, schlossen sie ein Abkommen über die
Grenzlinie der beiderseitigen Interessensphären. Regelmäßig
wiederkehrende Einfälle von Berberstämmen aus Libyen wurden
zurückgeschlagen. Unter Ramses II., der als der bedeutendste Herrscher
der 19. Dynastie gilt und dem eine lange Friedenszeit beschieden war,
erlebte das Neue Reich eine zweite Blüte und die ägyptische Weltmacht
schien gesichert zu sein. Doch die Völkerbewegungen um 1200 v. Chr.
brachten indo-europäische Stämme, die so genannten Seevölker, nach
Kleinasien, in den Balkan und den Vorderen Orient. Sie brachten eine neue,
unmittelbare und tödliche Gefahr. Ramses III. schlug zwar den Angriff auf
Ägypten in einer Land- und Seeschlacht ab, konnte aber den endgültigen
Verlust der vorderasiatischen Gebiete nicht verhindern. Zahlreiche
Kriege, monumentale Bauten der Könige erschöpften die materiellen und
physischen Kräfte des ägyptischen Volkes. Auch litt das Land unter
extremen sozialen Spannungen, welche vor allem durch die Aufspaltung der
Bevölkerung in Klassen und durch den immer größeren Besitz und die Macht der
Tempelbetriebe begründet wurde. Mit dem Tod von Ramses III., dem letzten
großen Pharao der 20. Dynastie, zeichnet sich ein stetiger Niedergang des
Reiches ab.
Doch ungeachtet der äußeren Schwierigkeiten entfalteten die Könige der 19.
Dynastie, besonders Ramses II, eine Bautätigkeit, die größer was als unter
allen früheren Herrschern. Vor allem der Ausbau der neuen Residenz Tanis
stand im Vordergrund. Ausgrabungen brachten über die Geschichte dieser
Stadt wertvolle Informationen. Besonders eindrucksvoll sind die
Zeugnisse im Süden, der Totentempel in Theben, das so genannte Ramesseum,
die gewaltige Säulenhalle des Tempels in Karnak, welche zu den
spektakulärsten Bauten der ägyptischen Geschichte gehört, und der
riesige Felsentempel von Abu Simbel, der nach dem Bau des Stausees von
Assuan in Blöcken aus dem Fels herausgesägt und an höher gelegener Steller
wieder errichtet wurde. Alle Bauwerke und Skulpturen des Königs haben
einen Zug ins Monumentale und Kolossale. Sie wirken dabei übermächtig und
verfügen nicht mehr über die Stilreinheit früherer Epochen. Die Macht des
Herrschers suchte ihren Ausdruck in der effektiven Größe. Der Tempel von
Abu Simbel ist fast 60 m hoch, die Kolossalstuten von Ramses II. davor messen
immerhin 20 m. Eine Statue des Königs in Tanis wurde aus einem einzigen
Block, der etwa 900 Tonnen wog geschaffen. Sie hatte eine Höhe von 27 m.
Überall ließ Ramses Obelisken errichten. Allein in Tanis schon 14 Stück.
Davon stehen heute drei in Rom und einer in Paris.
Ramses III. eiferte seinem gleichnamigen Vorgänger nach und kopierte in
vielerlei Arten. Von ihm stammt eine große Anlage mit Totentempel, Palast
und Festung auf der Westseite von Theben, dem heutigen Medinet Habu. Er gilt
als der besterhaltenste Bau des Neuen Reiches und ist mit zahlreichen
Reliefs geschmückt. Diese Bilder berichten von den kriegerischen
Erfolgen des Königs gegen die Seevölker und von seiner Entspannung im
Harem. Aus seiner Regierungszeit sind in Karnak die Reste eines Tempels für
den Gott Chons erhalten. In der Malerei und der Reliefkunst lässt sich ein
neues Raumgefühl in den über die Wände fortlaufenden
Sezenendarstellungen erkennen. Der Betrachter steht nicht mehr nur
Einzelbildern gegenüber, sondern befindet sich mitten in diesem
bildhaften Geschehen. Auch ein Wandel der Themenstellung lässt sich
erkennen. Die Freude an der Darstellung des wirklichen Lebens wich
jenseitigen Motiven, der Trauer um den Toten, der Sorge um seine
transzendente Existenz. Das Verhältnis von Mensch zu Gott ist sehr viel
persönlicher, inniger und unmittelbarer geworden. Die Tendenz zur
Ethisierung der Religion, die sich schon bei Echnaton und in anderen
Kulturen offenbarte, gewinnt immer mehr an Gewicht.
Mit dem Erlöschen der 20. Dynastie zerfiel auch das Weltreich. Aufstände in
Folge von Hungersnöten und Beschäftigungslosigkeit im Süden konnten nur
mit Hilfe des Vizekönigs von Kusch unterdrückt werden. In Tanis, im Norden,
regierte eine Dynastie, in Theben mit Hilfe der Amun-Priester eine andere.
Mitte des 10. Jahrhunderts v. Chr. ging im Norden des Landes die Macht an die
libyschen Söldnerführer über, ohne dass diese eine Vereinigung der beiden
Länder herbeiführen konnten. Das nubische Kolonialgebiet machte sich
selbständig und stellte mit der 25. Dynastie um 750 v. Chr. die nächsten
Könige, welche den Kult des Amun-Re fortführten. Aber auch sie konnten der
fort schreitenden inneren Auflösung keinen bleibenden Einhalt gebieten.
In dieser Zeitperiode drangen die Assyrer bis nach Theben vor. Nach einem
Jahrhundert der Ruhe, Ordnung und einer späten Blüte unter der 26.
Dynastie, brauch 525 v. Chr. der Perser Kambyses in Ägypten ein und beendete
dessen Selbständigkeit. Versuche die Fremdherrschaft abzuschütteln,
hatten vorübergehend Erfolg, aber auch den Persern geriet Ägypten in die
Abhängigkeit von mazedonischen, ptolemäischen und später römischer
Herrscher.